Eine Gams im Salzkammergut

Es ist 4.20 in der Früh. Mein allerliebster Freund S., bei dem ich wie jedes Jahr auf eine Gams eingeladen bin, klappert mit einem Kaffehäferl vor sich hin und flüstert „Sepp ist schon da!“. Madeleine neben mir flucht leise vor sich hin. Ächzend wälze ich mich aus dem warmen Bett, ziehe mir g`schwind und so leise wie möglich das Jagdgewand an, putze mir an der Küchenabwasch die Zähne (das Schimpfen aus dem warmen Bett wird lauter), nehme die schon am Abend vorbereiteten Rucksack und Gewehr und trete aus der Jagdhütte. Die Damen, die uns sonst gerne begleiten, bleiben heute im Bett. Es ist noch stockfinstere Nacht. Wir sind auf 800 Meter Seehöhe, etwa 300 Meter oberhalb des Wolfgangsees, versteckt im Wald, ober uns ein sternenklarer Himmel, das erste Morgengrauen noch nicht erahnbar. Wir trinken den heißen Kaffee und besprechen leise flüsternd, wer wo hingeht. Mein mir wohlbekannter Pirschführer Sepp kennt diese Berggegend wie seine Westentasche und hat schon einen konkreten Plan. Mit dem Auto noch ca. 5 Minuten bergauf zu fahren und dann weiter ca. 300 Höhenmeter aufwärts auf einen Schlag zu pirschen, wo er ein Gamsrudel mit ein paar passenden Gams kennt. 
Passend heißt in diesem Fall, dass noch ein 1-er Bock (älter als 8 Jahre, bei einer Gais hieße es älter als 10), eine 2-er Gais (Alter zwischen 4 und 9 Jahre) und ein 2-er Bock (zwischen 3 und 8) und einige 3-er Gams (Alter beim Bock 1-2 und bei der Gais 1-3 Jahre) zu erlegen sind. Es geht nun darum, das passende Stück zu finden und nahe an es heranzukommen, um einen guten Schuss „ins Leben“ anbringen zu können. Sowohl das Anpirschen, als aber auch vor allem das richtige „Ansprechen“ (also die Einschätzung des Geschlechtes und Alters) sind eine schwierige Sache, die genaue Revierkenntnisse und viel Erfahrung braucht. Meist kommt man nicht näher als im besten Fall 100 Meter heran, Schüsse bis zu 300 Meter und manchmal sogar darüber sind bei der Gamsjagd häufig. Die Gams ist ein ebenso hartes wie scheues Wild. Sie nimmt – anders als Rot- und Rehwild – keine Winterhilfsfütterungen an und kommt dennoch trotz oft monatelanger Eiseskälte und hohen Schneedecken mit der Aufnahme von gefrorenen Flechten, Mosen und Farnen gut über den Winter. Wunderschöne, stolze und wahrhaft wilde Geschöpfe. 
Wir wünschen uns ein „Weidmannsheil“ und brechen auf. Nach kurzer Fahrt in immer noch stockdunkler Nacht parken wir den Jeep hinter einer alten hohen Tanne, machen uns so leise wie möglich mit Pirschstecken, Rucksack und Gewehr fertig und ziehen mucksmäuschenstill los. Der Wind passt, zieht leicht und leise von oben Richtung talwärts, so dass das ober uns stehende Wild, das unser Ziel ist, uns nicht schon von weitem wittern wird. Es geht jetzt schnell mit dem Hellerwerden, das allererste fahle Licht zeigt uns, wo wir unsere Schritte leise hinstellen können. Jedes Knacksen, jedes zu laute Rascheln, jedes Klappern, vor allem jedes ungewöhnliche Geräusch kann uns verraten und dazu führen, dass Wild, das wir noch gar nicht bemerkt haben und auch nie bemerkt haben werden, leise „abspringt“. Sepp´s Hund Leni ist ein erst 5 Monate altes Dackelfräulein, die uns schon gestern Abend gezeigt hatte, wie besonders jagdbegeistert und talentiert sie ist. Wir sind ca. 15 Minuten unterwegs, Sepp und Leni legen ein stolzes Tempo vor, ich habe aufgrund des ersten Schweißausbruchs bereits meine Jacke im Rucksack verstaut, als Leni plötzlich abrupt stehenbleibt und wie ein Vorstehhund mit einem Vorderlauf in der Höhe starr Richtung bergauf schaut. Sepp schaut mich verschmitzt an, flüstert „Oben am Schlag ist schon was!“, leise pirschen wir weiter, Leni immer wieder bergaufwärts „windend“. Nach weiteren guten 15 Minuten, es ist mittlerweile ca. 5.30 Uhr, der Himmel wird schon leicht hellblaugrau und verspricht einen nächsten wunderbaren Sommertag, können wir zwischen den immer lichter gewordenen Bäumen in etwa 500 Meter Entfernung unser Ziel, den Windwurfschlag, sehen. Sepp ist stehengeblieben, hat bereits sein Fernglas in der Hand und sucht den großen Schlag ab, ich tue das gleiche. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell erfahrene Bergjäger Wild ausmachen, das vor den Augen von uns Flachländern verborgen bliebe. Diesmal aber bin ich es, der den kleinen gelben Fleck am Schlag entdeckt, und eine dumme kleine, fast diebische Freude, der erste zu sein, der etwas gesehen hat und den kurzen ganz leisen Ärger des erfahrenen Jagdfreundes darüber zu spüren, durchströmt mich. Schon bald machen wir mehr und mehr Gamsen aus, die im Morgengrauen auf dem Schlag verteilt äsen, vorsichtig hin und her ziehend, dabei immer wieder verdeckt durch die am Boden liegenden dicken vermosten alten Baumstämme und das hohe Gestrüpp, das sich auf dieser Freifläche ausgebreitet hat. Wir müssen näher heran. Rucksack, Pirschstecken und das Gewehr wieder aufnehmend bemerke ich, dass ich zwar Patronen im Magazin, aber noch keine im Lauf habe, muss also noch repetieren, was im stillen Wald jedes Mal so klingt, als würde jemand mit einem schweren Hammer auf einen Ambos schlagen. Noch dazu jetzt, wo das Wild bereits vor uns steht. Ich repetiere also so leise wie möglich und Sepp dreht sich mit strafendem Blick kopfschüttelnd um, nicht ohne Genugtuung. Aber die Gams haben es ausgehalten. Wir pirschen leise weiter und halten hinter einem Baum, jetzt schon auf ca. 250 Meter an den unteren Rand des Schlages heran, richten uns am Boden ein und beginnen, den Schlag genau zu beobachten. Es ist nur noch eine Gams zu sehen, auf etwa 300 Meter Entfernung, und Sepp packt leise sein Spektiv samt Stativ aus.

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Diese erst seit einigen Jahren vor allem bei der Bergjagd gebräuchliche Jagdausrüstung macht es bei bis zu 60-facher Vergrößerung und völlig wackelfreier Auflage möglich, jedes Wild vor der Entscheidung, ob man es schießt oder nicht, ganz genau anzusprechen. Da die Behörde – völlig berechtigt – jeden Fehlabschuss immer gnadenloser ahndet, ist das richtige Ansprechen immer wichtiger geworden. Das weltweit als Vorbild geltende österreichische Jagdsystem, das exakt vorschreibt, was geschossen werden darf und was nicht, hat – obwohl oft mühsam – in den letzten Jahrzehnten bewirkt, dass der Wildbestand gesund, in den Altersklassen richtig verteilt und nicht zu hoch ist. Wir Wolf und Bär ersetzende Jäger sind hier gerne Erfüllungsgehilfen. 
Sepp flüstert „Des is a oida Bock …“ 
und dann „Na, do a Gais …“ 
und dann „Na, do a Bock, a zwara …“ 
dann „G`hackelt wia a Gais …“ 
und final ein bissl verzweifelt „I was ned, i was ned …“ 
Hinter ihm durch mein Fernglas mit nur 8-facher Vergrößerung am weichen Waldboden kauernd die Gams beobachtend kann ich ihm nicht helfen, auch weil die Gams jetzt langsam hinter einem großen Buschen verschwindet. Sepp schaut kurz auf, zeigt auf zwei Bäume etwa 30 Meter oberhalb von uns und beginnt auf allen Vieren dorthin zu kriechen, ich packe mein Zeug zusammen uns krieche ihm nach. Die feuchte dunkelschwarze Walderde duftet köstlich nach Steinpilzen und Tannennadeln, als sie sich aber aufgrund der Kriechbewegungen langsam klebrig unter mein Hemd schiebt und mich die erste fette Waldameise in die Waden beißt, ist der Genuss leicht gestört. 
So leise wie irgend möglich richten wir uns an diesem neuen Platz ein, gut verborgen vor den Gams auf dem Schlag, denselben aber gleichzeitig perfekt ganz im Blick habend. Sepp weiß schon, was er macht.
Plötzlich bemerke ich, wie Leni, die alles mucksmäuschenstill sehr brav mitgemacht hat, wieder windet, diesmal aber nach links hinunter Richtung See schauend, der im Licht des schon leicht morgenrötlich werdenden Himmels zu uns hinauf blinkt. Ich folge Lenis Blick, sehe in circa 200 Meter Entfernung am Grat vor dem See eine Salzlecke und wie sich dahinter das Geweih eines Hirschen langsam hinaufschiebt! Ich tippe Sepp, der mit seinem Glas den Schlag vor uns absucht, vorsichtig auf die Schulter, deute nach links, langsam und vorsichtig dreht er seinen Kopf Richtung Hirsch, der von uns gar nichts mitbekommen hat. Der steht mittlerweile vor der Salzlecke, Sepp flüstert leise „Ein Achter im dritten Kopf, zu jung und zu gut …“ und wir beide tauchen ganz entspannt ein in dieses einzigartige Bild, der Hirsch genau so unter uns stehend, dass sein Haupt und sein Geweih sich vor dem See exakt abzeichnen. Wir sehen – obwohl viele Kilometer entfernt und weit unter uns – sogar, wie sich die Wellen auf der Wasseroberfläche im Morgenwind kräuseln, davor über eine Minute lang ganz unbeweglich das bergabwärts sichernde Hirschhaupt. Unvergeßlich. Nach einigen Minuten zieht der Hirsch ungestört und langsam seiner Wege. Wir widmen uns wieder unseren Gams und suchen den Schlag vor uns ab. 
Nix zu sehen, obwohl wir genau wissen, dass zumindest eine, wahrscheinlich sogar mehrere, denn Gams leben in Rudeln, in ca. 100 bis 300 Meter Entfernung vor uns äsend stehen, verdeckt durch altes Fallholz, Jungwald und Gestrüpp, aber eben auch jede Sekunde wieder auftauchen könnend. Und tatsächlich, in etwa 200 Meter Entfernung ober uns zeigt sich wieder die Gams, die wir schon vorher nicht genau ansprechen konnten und ich flüstere, das Glas nicht von den Augen nehmend, Richtung Sepp „Da, auf 12 Uhr!“, die alte, seinerzeit beim Bundesheer gelernte Zielansprache hernehmend. Keine Reaktion von Sepp, der immer noch angestrengt in seine Richtung durchs Glas schaut, aber eben Richtung 2 Uhr. Ich zische noch einmal 
deutlich lauter: „Heast, 12 hab` ich g`sagt!“, 
Sepp retour „Jo eh!“ 
ich „Dann schau auch da hin!“ 
Sepp „Jo eh!“ 
ich zische „Aber von mir aus 12 Uhr!“ 
Sepp „Aso.“ 
und schaut endlich in die richtige Richtung. Ein Klassiker aus dem Lehrbuch des Aneinandervorbeiredens. Ich habe die Gams – schon am Bauch liegend – klar vor mir, Sepp aber, nur einen halben Meter rechts von mir entfernt hinter seinem Baum kauernd, kann sie nicht sehen, weil die Gams leicht schräg hinter einem kleinen Busch steht und sein Blickwinkel eben um eine Kleinigkeit anders ist als der meine. Auch das ein Klassiker. Er beginnt also vorsichtig und leise über mich drüber zu steigen, um sie in Anblick bekommen und auch richtig ansprechen zu können. Ob der ganzen Flüsterei und Raschelei hat die Gams mittlerweile aber gemerkt, dass da irgendetwas Ungewöhnliches los ist und starrt konzentriert und unverwandt genau in unsere Richtung, die Jäger sagen dazu, sie „verhofft“. Es heißt also jetzt auf jede kleinste Bewegung und jedes geringste Geräusch aufpassen, sonst ist sie weg. Die Gams starrt weiterhin wie zur Salzsäule erstarrt zu uns, Sepp, der das natürlich mitbekommen hat, aber gerade im Begriff war, über mich am Bauch Liegenden drüber zu klettern, hat mitten in der Bewegung innegehalten und ist ebenso wie zur Salzsäule erstarrt. Wir müssen ein herrliches Bild abgeben. Ich habe mittlerweile schon das Gewehr im Anschlag und beobachte die Gams durch das Zielfernrohr mit nun 12-facher Vergrößerung, immer sicherer, einen passenden 2-er Bock vor mir zu haben. Die Gams beruhigt sich wieder, äst weiter und 
ich flüstere zu Sepp „Geht!“ und der klettert weiter über mich drüber. Die Gams hebt das Haupt und starrt uns an, jetzt schon auf etwa 170 Meter herangekommen. 
Ich zische „Stop!“, Sepp verhofft, die Gams äst nach 20 Sekunden weiter, 
ich zische „Geht!, Sepp bewegt sich kurz, die Gams wirft wieder auf, sichert zu uns,
ich zische „Stop!“, Sepp erstarrt zur Salzsäule, die Gams beruhigt sich nach 20 Sekunden wieder, äst weiter,
ich flüstere „Geht!“ 
und so geht das noch 2-3 Minuten hin und her, bis Sepp endlich auch wieder nun links von mir wieder sein Spektiv mit Stativ in Position gebracht hat. Ich bin mittlerweile das Gewehr auf meinem Rucksack aufgelegt, durch das Zielfernrohr schauend, mit dem Fadenkreuz schon auf der uns zugewandten Brust der Gams schussbereit und warte auf die Freigabe von Sepp. Die nicht und nicht kommt, vielmehr höre ich ihn schon wieder flüstern „I was ned, i was ned, g`hackelt (Anm.: die Form der Krucken) is wia a Gais, aber der Ansatz wia a Bock , i was ned, i was ned, i sich kann Pinsel …“ Diese Vorsicht zeigt, was für ein verantwortungsvoller Jäger Sepp ist – denn eine circa 5-jährige Gais führte mit recht hoher Wahrscheinlichkeit wenigstens ein Kitz, das wir halt wegen des unübersichtlichen Geländes eventuell noch nicht gesehen haben könnten, und es ist für jeden anständigen Jäger ein furchtbarer Irrtum und Jagdfrevel, einem Kitz seine Mutter wegzuschießen. Ich weiß das natürlich, will jeden Druck herausnehmen, flüstere „Kein Problem, lass dir Zeit, sag einfach ja oder nein.“ und konzentriere mich wieder auf das Anlegen auf die Gams, den Brustspitz schon genau im Fadenkreuz. Der Rest der nun ca. 150 Meter entfernten Gams, die uns ob unseres ständigen Getuschels wieder unverwandt anstarrt, ist durch hohes Gras verdeckt. Unerwartet rasch flüstert Sepp „Ja!“, ich entsichere, steche ein, visiere noch einmal kurz an, drücke so leicht wie möglich ab, der Schuss bricht und ich sehe, wie die Gams wie weggezaubert im hohen Gras verschwindet. Sepp flüstert neben mir sofort „Weidmannsheil“, im Spektiv genau gesehen habend, dass meine Kugel im Leben war, die Gams also höchstwahrscheinlich nicht einmal mehr den Schuss gehört hat, denn eine Kugel fliegt rascher als der Schall. 
Automatisch habe ich repetiert und schaue noch ein paar Sekunden durchs Zielfernrohr, aber es rührt sich nix. Ich hebe meinen Blick und wende mich zu Sepp, der mich schon mit einem leichten Lächeln anschaut. „Guat hast g`schossn. Und schnell.“, ein Lob, das mich aus diesem berufenen Munde sehr freut. Sepp versteht vollkommen, dass in einer solch knappen Situation nicht die Zeit bleibt, zu warten, bis die Gams breit steht, das heisst einem das Blatt, die Stelle über dem Vorderlauf, zuwendet, wohin man sonst seinen Schuss anträgt. Wir setzen uns auf und schweigen. Unter uns der See, immer blauer herauffunkelnd. Über uns rauscht leise der leichte Morgenwind in den Baumwipfeln. Es ist 6 Uhr und 8 Minuten und der erste Sonnenstrahl leuchtet eine schmale Spur auf den Schlag, dorthin, wo die Gams lebte. Sepp und ich hängen unseren Gedanken nach, beide den gleichen, ich weiß es, ohne es je mit ihm besprochen zu haben oder besprechen zu werden, im Wissen ob des unglaublichen Eingriffes in die Schöpfung, den wir gerade gewagt und uns angemaßt haben, sich zum Herren aufzuschwingen über Leben und Tod, durch die winzige Bewegung eines Zeigefingers. Sepp, in seinem Hauptberuf ein berühmter Schnapsbrenner, nimmt einen schönen alten silbernen Flachmann und reicht ihn mir. Jeder von uns nimmt einen kleinen Schluck, das leichte duftschmeckende Brennen im Mund ist herrlich. Wir reden leise über den Wald, das Wild, den See und das Leben, offen und voller gegenseitiger Sympathie, aber einander nicht zu nahetretend. 
Nach etwa 20 Minuten nehmen wir, ohne es besonders zu besprechen, gleichzeitig unsere Pirschstecken, ich auch mein Gewehr, im Falle, dass man doch noch einen zweiten Schuss abgeben muss, lassen die Rucksäcke zurück und beginnen den Aufstieg zu der Stelle, wo die Gams wohl liegen wird. So nah sie uns vorher schien, so mühsam ist der Aufstieg über Stock und Stein und Gras und Busch jetzt, wie immer täuscht das Gelände, wenn man es nur von der Weite sieht, gewaltig. Leni, die nach dem Schuss voller Aufregung natürlich sofort los Richtung Anschuss wollte, schafft viele Hindernisse nicht und muss immer wieder getragen werden. Die 150 Meter brauchen fast 20 Minuten, bis wir bei dem im hohen Gras maustot liegenden Gamsbock angekommen sind. Schon am Weg aufwärts hat Sepp zwei schöne Tannenzweige abgebrochen, steckt eine nun der Gams als „letzten Bissen“ in den Äser (das Maul), benetzt den anderen am Schweiss (Blut) des Einschusses, richtet sich auf, legt den Tannenzweig auf seinen Hut, ich nehme meinen ab, er schüttelt mir die Hand, sagt „Weidmannsheil“, ich sage „Weidmannsdank“, er reicht mir seinen Hut, ich nehme davon den Tannenzweig, „Bruch“ genannt, stecke ihn mir auf die rechte Seite des Hutes, setze mir denselben wieder auf und kauere mich neben Sepp zur Gams nieder. Wir sind zufrieden – ein 5-jähriger, in der Trophäe nicht zu starker genau passender Abschussbock, genau in den Abschussplan des Reviers passend, stark im Wildbret (Körper) und pumperlgsund. Mein Schuss ging wie gewollt von vorne genau ins Herzen, wir sind beide sicher, dass der Gams seinen eigenen Tod nicht bemerkt hat, davon zeugt auch, dass sein Äser noch voller halbgekauter frischer Gräser ist. Beide hängen wir wieder jetzt hier bei den „Totenwacht“genannten Minuten direkt vor dem frisch erlegten Wild still unseren Gedanken nach, ich bete leise ein Vaterunser, Sepp recht wahrscheinlich auch, schauen uns an, machen ein paar Fotos genau an dieser wunderbaren schrecklichen Stelle, die Gams und ich im Vordergrund, Wald und See und Morgengrauen im Hintergrund, und uns dann fertig für den vor uns liegenden Abstieg mit der toten Gams, die sicher ihre circa 30- 40 Kilo wiegt und die wir über Stock und Stein wieder hinunter schleppen müssen. Sepp, obwohl ein paar Jahre älter, aber halt ein gertenschlanker durchtrainierter Bergfex, der jeden Tag mehrere Stunden im Revier unterwegs ist, übernimmt hier den größeren Teil der Arbeit, ich muss aufpassen, dass ich nicht am Hintern hinunterrutsche oder überhaupt stolpere und den Schlag hinunterkugele. 
Wir holen unser Rucksäcke und zerren die Gams gemeinsam durch den Wald bis zur Forststrasse, von der es dann noch circa 20 Minuten Marsch bis zum Auto sind. An der Strasse schwitzend, stolpernd und immer wieder fluchend angelangt bemerken wir, dass Leni fehlt, auf die wir bei der vollen Konzentration auf das Bergen der Gams völlig vergessen haben. Von ein bissl weiter oben hören wir ein leises Winseln und Sepp muss wieder ein paar Minuten aufsteigen, um seinen großartigen Hund, der uns bei der Jagd so geholfen hat, über anscheinend unüberwindbare Hürden zu helfen. Bei Dackeln heißt es generell höllisch aufpassen – ihr Jagdtrieb ist so stark, dass sie, einmal auf der Fährte, alles um sich vergessen und gegen jedes Kommando immun sind. Während Sepp also Leni holt, breche ich seinem Auftrag folgend von einer gefällten Fichte einige große Äste ab, aus denen wir eine Art Bett basteln, auf dem wir die Gams fixieren und so auf der geschotterten Strasse halbwegs würdevoll Richtung Tal ziehen können. 
Gegen 7.30 Uhr sind wir schwitzend retour beim Auto, heben die Gams in die Wildwanne (aufgebrochen wird sie in diesem Revier – wenn es sich ausgeht – erst in der Wildkammer) und fahren wieder retour Richtung Hütte, wo nicht nur S. auch gerade ankommt, sondern die Damen sich schon erhoben haben. Wir bahren die Gams vor der Hütte auf der rechten Seite liegend so auf, dass ihr Blick Richtung Berg geht, der von diesem Platz in seiner ganzen Pracht zu sehen ist, noch einmal dorthin, wo sie ihre Heimat und ihr Leben hatte. Kurz und leise erzählen Sepp und ich von der Jagd, versuchen dabei, kein eventuell wichtiges und spannendes Detail zu vergessen und freuen uns an der Freude unserer Freunde. 
Ich sage Sepp sofort, dass ich diese Gams für die Stadtflucht Bergmühle mitnehmen will, er sie bitte also in der Decke lassen und zur Abholung am nächsten Tag vorbereiten, zur Abendpirsch aber bitte schon die Leber mitbringen soll. 
Die mache ich dann für uns alle zum Abendessen mit viel karamellisierten Zwiebeln und Äpfeln und in Rotwein geschmort. Und wir essen sie dankbar und trinken einen guten Wein dazu und sitzen in der Nacht im Wald am Berg und reden und lachen und weinen und leben und ober uns funkeln die Sterne.

Schon diese Leber war herrlich. 
Der Rest der Gams wird es auch. 
Am Sonntag, dem 27.8.2017.
In Eurer Stadtflucht Bergmühle.
Wir werden genau wissen, was wir essen.

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